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Die Wüste und die Erfahrung des Raumes | ||||||||||||||||||||
![]() ![]() Oben: Nachtlager in der Nähe von Ghat, 5.2.2005 Unten: Fussabdruck, Felszeichnung, Messak-Gebiet | Von Aurel Schmidt
Während der Fahrt durch die Wüste ändert sich ihre Gestalt unablässig. Am besten wäre es, an einen kinematografischen Ablauf denken, an ein Road Movie. Alle paar Stunden wechselt das Setting und beginnt eine neue Vorstellung: Sand, Fläche, Ausdehnung. Kein Baum, kaum Horizont. Fast ohne Übergang tritt eine Verdichtung ein, die Wüste schiebt sich zusammen, es bilden sich Oueds (Wadis, Trockentäler), Felsen, Gebirge. Wieder nach einer Weile führt die Fahrt durch Sanddünen oder Steingärten. Einmal ist der Raum flach, in der Vorstellung kaum strukturiert, einmal ist er eingeschnitten, gekerbt. Nicht zu reden von den Farben, die seine topografische Form herstellen, durch die Verteilung des Lichts, durch Kontraste, mit denen Nähe und Ferne, Oberflächen, Singularitäten, Konsistenzen markiert werden.
Das könnte der erste Versuch einer Einteilung, Strukturierung und Anordnung des Raums sein. Zwischen meinem momentanen Ort, wo ich mich aufhalte, und dem (vorläufig noch) undefinierbaren Raum, der mich umgibt und in dem ich mich aufhalte, wird ein Zwischenraum eingerichtet, ein Orientierungsraum mit einem Hier und einem Dort, den ich über überschauen und begreifen kann.
Auf paradoxe Weise zusammengefasst, könnte man sagen: Ich weiss, wo ich bin, nämlich da, wo ich mit den Füssen auf dem Boden stehe, aber ich weiss nicht, oder nicht auf Anhieb, wo der Raum ist und wie ich ihn beschreiben könnte? Auf die Frage, woher die Faszination für die Wüste kommt, sind verschiedene Antworten möglich. Die kirgisische Steppe, die patagonischen Ebenen, der Changtang (das tibetische Hochland), die Great Plains in Nordamerika stellen das Verhältnis von Individuum und Raum in besonderer Weise her oder heraus, beziehungsweise sie stellen das Individuum so in den Raum, dass ihm dabei Hören und Sehen vergeht – und Denken. Man muss also eine kleine Anstrengung vornehmen, um dem Raum auf die Spur zu kommen. Mal angenommen: Ich stehe auf einer kleinen Erhöhung in der Wüste. Soweit das Auge sieht, kein Zeichen, kein Hügel, keine menschliche Spur (kein Wegweiser, keine Reklamewand, keine Parabolantenne). Ich drehe mich 360° im Kreis und sehe in jeder Richtung mehr oder weniger das Gleiche. Das Raum, der mich umgibt, scheint grenzenlos, er hat keinen Anfang und kein Ende, oder er fängt an jedem denkbaren Ort an und hört an jedem auf. Beim ersten Hindernis, bei der geringsten Auffälligkeit fange ich an zu interpretieren – zu phantasieren. Es soll Menschen geben, die diese Haltlosigkeit nicht aushalten und nur einen einzigen Wunsch haben: den Rückzug in die Welt anzutreten, in der die Zeichen wieder in dichter Anordnung anzutreffen sind. Voraussetzungslos fällt es niemandem leicht, sich im Raum zu orientieren beziehungsweise sich unter dem Raum etwas Präzises vorzustellen. Ist unter der Wüste und infolgedessen unter dem Raum eine Leere vorzustellen, die bis zum nächsten Unterscheidungsmerkmal reicht oder sich am fernen Horizont verliert, oder ist darunter etwas wie ein verschlossenes Zimmer zu verstehen, in das eingesperrt ist, wer anfängt, darüber nachzudenken? Wenn ich immer nur geradeaus gehe, komme ich nirgends hin, weil ich nichts anderes mache, als immer weiterzugehen. Das führt nirgends hin, einmal muss Schluss sein. Einmal muss ein Punkt des Weges erreicht sein, wo ich Halt machen und das Bedürfnis nachgeben kann, mich zu orientieren.
Der Raum muss, heisst das weiter, nach einem Wort von Martin Heidegger, eingeräumt werden. Für Heidegger bedeutete Einräumen, dass im Raum ein Anzahl von Punkten und Orten fixiert und so seine Relationen bestimmt werden, notfalls willkürlich. Etwa so: Hier ist Punkt A. Von A nach B liegt eine Distanz, die eine erste Orientierung zulässt. Die zusätzlichen Dimensionen von B nach C macht es möglich, von der Linie (vom Weg) zur Fläche vorzugehen. Kommt noch eine weitere (dritte) Masseinheit hinzu, haben wir es endlich mit dem zu tun, was wir gemeinhin als Raum bezeichnen (Länge, Breite, Höhe, wenigstens Höhenunterschiede). Heidegger hatte die Skulptur, die er im Raum platzierte, benützt, um den Raum zu bestimmen. Damit setzte er einen Ordnungspunkt fest, von dem ausgehend sich sämtliche Parameter festlegen lassen. Denkbar ist auch, dass eine Wegkapelle oder ein markanter Felsen diese Funktion erfüllen kann. Der Ort ist der Fixpunkt, der es möglich macht, dem Raum eine Grenze, ein Mass und eine Dimension zu geben und so schliesslich eine Struktur.
Sollte das unverständlich sein, dann ist es doch auf jeden Fall in höchstem Mass bewegend. Alles ist offen, im Fluss, und es bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als vom Paradoxon oder Provisorium zur Poesie überzugehen, wie die Aboriginels in Australien, die mit ihren Songlines einen imaginären Raum einrichten (einräumen) und damit das Problem des Raums auf eine ästhetische Weise lösen. |