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Seltene Früchte – gedeckte Tische
Ali Ezouik,
geboren 1949,
lebt und arbeitet in Tripolis.

Bild: Archive of Dr. Landsteiner, 1995
Watercolours, 32 x 50 cm
Ausstellung Galerie Anton Meier,
Genf, September 2007.
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Aquarell 1


Aquarell 2


Aquarell 3


Aquarell 4

Von Jörg Mollet

"Dieses Zeichen, das ist doch ein Halbmond – der Vollmond aber bleibt nur angedeutet", erklärt mir ein Jugendlicher, dem ich eines der Aquarelle von Ali Ezouik zeige. Oder ist es eine Frucht, eine Muschel (Aquarell 1, siehe linke Spalte)?

Schon sind wir mitten drin in der Zeichenwelt des Künstlers. Wir werden in Bewegung gesetzt mit Lesen und Deuten, lange bevor sich eine Bedeutung abzeichnet. Innere Bilder rufen wir zum Vergleich ab und erproben Kongruenzen.

Es ist wie in einem fremden Land. Alles, was ich noch zu erkennen meinte, erscheint etwas anders. Das Vertraute wird verfremdet und das Fremde bleibt verschlossen.

Schauen wir etwas genauer hin: Die benannte Kreisform, zart konturiert, gefüllt mit leichten Blau- und Karmintönen, erscheint mächtig über einer schlafenden Figur – dazwischen eine Blüte. Die Farben von Gestirn, Blüte und Figur spiegeln sich. Goldgelb taucht im Körper der Liegenden auf. Ab und zu bricht Licht aus dem hellen Blattgrund.

Es ist diese traumtänzerische Leichtigkeit, die mich begeistert. Diese Verwandlungskraft, in der alle Formen aneinander teilzuhaben scheinen und in jedem Moment aufbrechen könnten - in eine neue Form. Es kann nicht nur an der Farbe liegen, da muss eine latente Energie vorliegen, die Dinge und Zeichen bildet und zum Leuchten bringt.

Wer unter einem solchen Stern steht, der weiss auch um die Schatten und um das Dunkel. Der Titel einer Zeichnung von Paul Klee kommt mir in den Sinn: "Dieser Stern lehrt beugen" aus dem Jahr 1940, dem Todesjahr Klees.

Die vorliegenden Arbeiten von Ali Ezouik sind die Früchte eines langen und beschwerlichen Wegs. Mit einem radikalen Bruch hat er sich von früheren Schaffensphasen gelöst. Es folgen lange Jahre der Krise, Zeiten bedrohlichen Erlöschens. Im Rückblick stellt es sich eher als Zeit der Wende und Regeneration aller Kräfte dar, um neu aufzubrechen. Doch im Wort "aufbrechen" steckt das Wort "brechen". Starke Kräfte waren am Werk, die das umfassende Wissen, das Akademische, das Traditionelle umformten und bündelten.

Jetzt ist alles herausgeholt, in einer unverwechselbaren, ureigenen, authentischen Malerei, "mit Intimität, starkem Gefühl und trotzdem asketisch, was die Reinheit und Frische der Farben betrifft", wie Ali Ezouik selber sagt.  Er schafft den Durchbruch vom Innen zum Aussen. Die Kanäle sind offen gelegt. Mit der Malerei bleibt nun auch das Licht fliessend und durchströmt eine Zeichenwelt in allen Richtungen: vom organförmigen Fleck zur Frucht, vom Organ zur Blüte, von der Pflanze zur Figur, vom Torso zum Gefäss und so fort. Transgressionen.

Im hellen Blattgrund wird da vom Künstler reichlich aufgetischt. Ein Festmahl? Sicher sprichwörtlich ist hier die Gastfreundschaft.

Wenn wir uns umschauen in der Kunstszene von Tripolis oder Einblick gewinnen per Internet in die Gegenwartskunst Libyens, gibt es kaum Zeugnisse in dieser Gegenwärtigkeit und leichten Frische. Es ist aber auch der leise Ton, der angeschlagen wird und trägt.  Dieser sucht nicht die grosse Geste, die Inszenierung. Es ist das Vertrauen zu den Innenkräften, das im Kleinformat von Tiefenerfahrung spricht.

Ali Ezouik kennt die westliche Kunst aus seinen Auslandaufenthalten. In den offenen Gesprächen am Tisch des „Art House“ in Tripolis oder im Atelier wird klar, wie bewandert er auch in der Theorie der westlichen Kunst ist. Er klärt die Begriffe mit Leichtigkeit und je nach Anwesenden vielsprachig. Um so erstaunlicher ist es, dass er sich nicht durch die Stars der westlichen Szene blenden liess und auch, dass er die Modernismen im eigenen Land abstreifen konnte: Er ist in der Gegenwart einer globalisierten Kunst angekommen und hat dabei seine afrikanischen Wurzeln bewahrt.

Aus seinem Hintergrund leistet er dazu einen überraschenden Beitrag. Und wenn ich hier doch einen Vergleich heranziehen möchte, so ist es vielleicht der mit dem jung verstorbenen Schweizer Künstler Martin Disler.

Dislers Formkraft entlädt sich in expressiven Schöpfungen individueller Mythologie. Bei Ali Ezouik ballt sich die Formkraft in ihrer Askese auch zu einer unmittelbaren Präsenz und erweitert sich zu einer archetypischen poetischen Realität.

Ein nächstes Bild (Aquarell 2, siehe linke Spalte): Einer liegenden Figur in Schrittstellung entwächst aus der Brust eine zweite Figur. Diese wiederum ist am Oberkörper mit einer blau-goldenen Frucht (oder Weltkugel?) verwachsen. Daneben hängt ein grosses, dunkles, fruchtförmiges Zeichen, mit roten und gelben Farbflecken besetzt. Unterlegt ist die Szene mit einem blaugriffigen Messer mit regenbogenfarbiger Klinge, deren Spitze glüht. Des Messers Schneide entwächst eine blütenhafte Form. Die Zwischenräume sind so angelegt, dass sie mitschwingen, die Objekte und Formen in unmittelbare Spannung versetzen.

Hier wächst das Eine unmittelbar aus dem Andern hervor, ist miteinander verbunden in Farbe und Form. Denke ich den in Gang gesetzten Prozess weiter, gerate ich in ein naturhaftes, überbordendes Wachsen. Alles wird Natur. Paradiesisch.

Und das Messer, das paradoxerweise wie ein Fundament das Ganze trägt – scheint es diesen Prozess sogar auszulösen? Es ist sicher auch ein Instrument des Geistigen. Es treibt die Früchte aus sich heraus und erntet sie zugleich.

Dass das Messer im Werk des Künstlers von existenziellen Grenzen zeugt, zeigt sich in der Verbindung zum Beispiel mit dem Herz, das als Zeichen und Organ auftaucht. Die Klinge zerlegt und "eröffnet" den Körper, wie das die Anatomie und Chirurgie seit Vesalius’ Zeiten weiss.

Das macht hier auch der Künstler: Er "eröffnet" und erschliesst uns fremde Welten aus eigener Erfahrung, die uns bisher verschlossen geblieben sind. Das Herz, ja die ganze Figur wird zur Frucht, die vor- und zubereitet wird.

Und nicht genug, die Frau mit dem Früchtekorb auf dem Kopf (Aquarell 3, siehe linke Spalte) verwandelt sich im nächsten Aquarell zur Frau, die den Kinderkorb trägt. Das glühende Scharlachrot, das Pink im Korb des Kindes fliesst über den Kopf in den Oberkörper der Figur und fliesst weiter bis zu einem blauen Strömen im Bauch. Auch der umgekehrte Prozess ist möglich.

Die blühende Pflanze neben der Frau scheint wie die simultane Erscheinungsform zu sein und Quelle. Sie verwandelt das Licht in körpereigene Energie.

Die aufs Elementarste reduzierten Zeichen werden teilweise noch weiter zurückgenommen, auf eine präfigurative Form. Die Differenzierung und das Auswachsen scheint in den Farben und Formen erhalten zu bleiben. In diesen Keimformen bleibt alles angelegt. Im Miteinander werden sie sogar zu Aggregaten, die immer neue Ausformungen suggerieren und antreiben.

Auch Fische (Aquarell 4, siehe linke Spalte) kommen vor, als Archetypen des Fliessenden, die über schemenhaften, maskenartigen Schattenfiguren liegen. Sie erscheinen im Durchlicht einer andern Welt, die von der Fülle, aber auch der Vergänglichkeit von Fruchtbarkeit in einem Land weiss, das weitgehend von Wüste bedeckt ist.

Doch Ali Ezouik erzählt keine Geschichten, er ist ganz Maler und bleibt bei seinen Bildern. Nennen wir ihn in einem tief verwurzelten Sinn auch "Regenmacher", der Innen und Aussen, Oben und Unten zu verknüpfen weiss. In seiner Welt sind die Tische reich gedeckt mit seltenen Früchten – komplementär gesetz in der Farbigkeit. Davon zu essen heisst ganz werden.

Eigentlich ist es so, wie es der Junge am Anfang gesagt hat: Wir sehen lediglich einen Teil des Gestirns, aber ahnen das Ganze. Ali Ezouik durchdringt  die Schatten, bis der ganze Stern leuchtet.

weitere Aquarelle: www.alizawik.4t.com

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